Vom homo sapiens zum homo urbis
4. Die Städte als neue Machtzentren
Die urbanen Siedlungen und die sich daraus ergebende Industrialisierung haben eine entscheidenden Weichenstellung zu einem bewusst gelebten Materialismus gefördert. Vor allem die europäischen Seefahrer–Städte entwickelten aus einem materiellen Bedürfnis ihrer Adelshäuser, vor allem nach Gold als Basis für einen überbordenden Hunger nach Macht und Luxus, einen rücksichtslosen Kolonialismus. Der in West wie Ost herrschende Feudalismus weist da auf eine unterschiedliche Weltauffassung der herrschenden Klasse hin. Dabei war bereits in den Jahren 1405-1435 der Hof-Eunuch Zheng-He im Auftrag seines chinesischen Kaisers mit 300 Schiffen und 30'000 Mann bis an die Küste von Ostafrika vorgedrungen. Das Ziel aber waren lediglich Handelsbeziehungen und nicht Besetzung. Möglich, dass dabei Glaubenslehren eine Rolle spielen, denn auch der Islam hat sich in Asien ausgebreitet, wenn auch als Religion und nicht als Besetzungsmacht.
Hingegen entwickelten sich mit der Domestizierung des Pferdes und des Kamels vor allem die Steppenvölker zu grossen Volksgruppen, die auf dem Landweg neben Handel auch Raubzüge unternahmen. Der bekannteste dieser Art ist die Invasion des Hunnenkönigs Attila (441 -453), der wohl der Prototyp eines nichtstädtischen Eroberers verkörpert. Vor allem die einheimischen, osteuropäischen Sippen sind stark davon betroffen durch Vermischung von Kultur und Völker. Es seien nur als Beispiel die Bulgaren, Magyaren und Awaren genannt, jedoch auch kulturell hochstehende Völker wie die Skythen hatten pflegten Kontakte. Gründungen von Siedlungen waren selten; es ging um Plünderung aber auch Austausch und Handel. Eine Frage der Zeit und der steten Entwicklung.
Ganz anders war die Entwicklung bei der Seefahrt. In der grossen Epoche der europäischen Entdeckungen durch wagemutige Kapitäne wie Diaz (Afrika 1487), Vasco da Gama (1487 Seeweg nach Asien) oder Kolumbus (1492 Amerika) wurde als Folge des ständigen Goldhungers der Königshäuser an den Landungsstellen neue Siedlungen gegründet, die sich in der Folge bis zu Grossstädten entwickelt haben. Im Gegensatz zu den Steppenvölkern haben die Europäer die Besetzungen bis heute entscheidend geprägt. Kriegerische und merkantile Bauten sind die Markenzeichen. Städte sind heute Denkmäler ihrer Tätigkeit.
Es darf somit vermutet werden, dass der Zuammenschluss einer massgebenden, gut geschulten Volksschicht in befestigten Lebenszentren vollständig andere Sichten auf die anzustrebenden Werte eines Lebens entwickelt als bei naturverbundenen Lebewesen. Der Zusammenschluss erfordert zum Beispiel unmittelbar eine Organisation, die dieses Zusammenleben ordnet und somit gleichzeitig einen Beamtenstab und eine militärische Sicherheit. Befestigungsanlagen sind heute noch ein markantes, städtisches Merkmal alter Bedeutung. Je konzentrierter und grösser und somit auch erfolgreicher sich so ein Machtzentrum entwickelte, desto einflussreicher wurde sein Monarch. Besitz wurde eine entscheidende Grösse; zu Beginn der Zivilisation sogar die Grundlage für die Gründung eines sogenannt „adligen Geschlechts“. Denn adliges Blut kennt die Natur nicht. Was soll das denn wissenschaftlich, analytisch sein? Mit der Idee der Demokratie scheint diese Klasse eine neue Bewertung zu erhalten. Der Adel hat sich nun auf das Vermögen reduziert und man spricht von Geldadel. Das edle Blut hat eine neue Konsistenz und ist bedeutend wirksamer.
Landwirtschaftliche Werte wurden mit der schlagartig einsetzenden Industrialisierung immer zweitrangiger und somit der Umsturz der ersten landwirtschaftlichen Revolution überwunden. Neben Landbesitz und Landwirtschaft entwickelt sich das gänzlich neue Weltbild des Massenkonsums. Wohl bleibt eigenes Vermögen massgebend, doch die Produktion gänzlich neuer Güter verändern stetig die Bedürfnisse der Menschen. Die industrielle Fertigung mit Handel wurde ein grundsätzliches Konsumprinzip, der Geldhandel global und eigenständig. Handfester Besitz und Sehnen nach Luxus wurden zum Masstab aller Wertigkeiten und wegweisend im Zusammenleben. Diese Weltsicht hat die Geschichte in der Folge prägend gesteuert.