Das nachhaltige Dilemma des Homo Sapiens

5. Geld

Alles Leben will sich selbst erhalten, sonst wäre Leben sinnlos. Doch „Leben“ bedeutet im Weiteren auch Arbeit und Mühe, einen mehr oder weniger die Kräfte raubenden Kampf um zu existieren. Es gilt die Lebensdevise, dass „niemandem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen“. Und doch selbst Kindern erleben schon, was soziale Unterschiede sind. Wer reich und mächtig ist, hungert nur freiwillig. Ist ein sorgenfreieres Leben also nur eine Frage des Besitzes? Eine solch logisch einfache Denkweise ist eine Grundlage des materiellen Kapitalismus deren wichtigster Antrieb die Habgier ist. Religionen und Philosophie bemühen sich Empathie und Nächstenliebe einzuschleusen, denn jeder gegen jeden wäre tödlich. Nur wenn der Stärkere dem Schwächeren zu helfen gewillt ist, kann doch der vielbesungene Verbund von Brüdern entstehen. Der Traum von selbstloser Hilfe funktioniert nur, wenn der in allen Belangen Überlegene gewillt ist, dem Schwächeren beizustehen ohne an Rendite und Absichten zu denken. Auch Wissenschaft und Technik sollten sich diesem so wichtigen Gebiet des Humanismus annehmen. Schon geistert die Angst vor künstlicher Intelligenz und Robotern durch die Welt der Arbeitenden und damit eine ganz neue Gefährdung unserer Existenzgrundlagen. An sich sind Fortschritte bewundernswert, doch im 20.sten Jahrhundert tendiert die sozialgesellschaftliche Struktur global in Richtung der Anfänge des „homo sapiens“. Trotz stetig ausgebautem Sozialstaat und demokratischen Verfassungen ist die Differenz zwischen den Superreichen und dem Rest der Welt bisher stetig in unbekanntem Ausmass auseinandergedriftet. Die Wahrheit heisst, dass immer weniger Menschen den Reichtum dieser Erde besitzen und beherrschen zu Ungunsten der Übrigen. Es sind globale Geld und Technikmonarchien entstanden und die nachhaltige, demokratische Freiheit entschwindet auf der Schutthalde der Geschichte. Denn: Geld regiert die Welt. Doch: was ist Geld? Oder ist es nicht vielmehr der Kapitalismus?

Es sei hier nochmals kurz daran erinnert, dass Geld zur Vereinfachung und Normierung des Tauschhandels eingeführt wurde. Der Herausgeber garantierte für den Gegenwert bei Präsentation des Geldstückes vorerst in Gold, später als Staat zumindest in der Landeswährung (vor allem in der Weltwährung US Dollar). Mit der Akzeptanz der Verschuldung durch wilden Nachdruck in allen Devisen ist auch jede Garantie einer Wertdeckung gefallen. Schon heute sind Weltschulden doppelt so gross wie das gesamte Welt Bruttozialprodukt. Schuldbeträge sind praktisch ungedeckt. Sie basieren auf Absprachen und Vereinbarungen zwischen den Staatsbanken und der Weltwährungsbank; lediglich die alltäglichen Schulden werden durch das Rechtswesen verfolgt und innert Fristen eingefordert. Nirgends ist die Rechtsungleichheit des Spruches: „die Grossen lässt man laufen“ krasser ersichtlich. „Too big to fail“. Es zählt somit vor allem der Ruf, den ein Schuldner auf dem Markt hat und die Geldschuld wird Teil der Buchhaltung. Der Geldwert ist eine theoretische Grösse in dieser „gesellschaftspolitischen Rechnung“ des Kapitalismus und jederzeit veränderbar, ersichtlich an den Wechselkursen. Zudem sind die Kapitalverschiebungen kaum mehr kontrollierbar. So schätzt man das von Finanzberatern versteckte Geld auf zwischen 8 – 30 Billionen Dollar, steuerfrei.

Schon von Anbeginn an hatte der „homo“ ein Faible für glänzende Metalle und funkelnde Edelsteine. Bei den Metallen waren es Gold und Silber, die in grösseren Adern in der Erde vorkamen, bei den Edelsteinen insbesondere Diamanten. Im Gegensatz zu raren Gewürzen, Pigmenten, kostbaren Stoffen und Genussmitteln sind Metalle und Edelsteine keine Handelsware des täglichen Bedarfs. Sie sind nachhaltig als Wert durch globale Akzeptanz. Sie können daher auch als Basis für eine Vergütung von Ware und Dienstleistungen eingesetzt werden. Als mit der landwirtschaftlichen Revolution in der Menschheitsgeschichte der Handel begann, wurde schnell klar, dass dieser Tauschhandel auf die Dauer nicht praktikabel war. Schon ein Vergleich des kunterbunten Warenwertes bedurfte einer Einheitswährung um sich einigen zu können. Mit dem steten Wachsen der Zivilisation auf allen Kontinenten und der Diversifizierung in viele Sprachen und Sitten wurde dieses Problem einer gemeinsamen Werteinheit immer abstrakter doch umso dringender.

Die Erfindung von Zahlen neben den Schriften brachte die notwendige Basis für eine sogenannte „Buchhaltung“, die den Austausch von Waren abstrakt erfassen kann, eben über die Zahlen. Die Anwesenheit der Handelspartner bei Abschluss eines Geschäfts wurde somit unnötig und man baute auf „auf Treu und Glauben“. Diese basierte auf der Erfindung des „Geldes“, einer kleinen, mobilen Werteinheit, die vorerst gesichert war über die Garantie des Herausgebers, bei Wunsch die Schuld in Gold zu decken. Mit der Kreation des Papiergeldes verlor die bis dahin gebräuchliche Münze jeden Eigenwert; kein Mensch käme auf die Idee, Banknoten zum Beispiel als Grabbeigaben zu benützen, wie uralte Grabfunde von Edelsteinen aus der Urzeit der Zivilisation zeigen, selbst wenn diese unverwüstlich wären. Der nachhaltige Wert des Geldes besteht nur in der praktischen Verwendbarkeit als Verrechnungseinheit. Geld ist die Zelle der kapitalistischen Philosophie.
Diese Aufzählung von jedermann mehr oder weniger bewussten Selbstverständlichkeiten endet bei der Bedeutung des Geldes für das soziale Leben, vernachlässigt den Teil seiner Auswirkungen, seiner Folgen. Dabei sind diese enorm im Guten und wie im Bösen. Noch nie in der Menschheitsgeschichte ist die Schere zwischen „Arm und Reich“ so krass am sich Öffnen wie im letzten Jahrhundert, Tendenz steigend. Sie hat die Struktur der Welt total verändert und sind die Grundlage einer vor allem technisch geformten Zukunft. Dies bei steigendem Bewusstwerden der ethischen Ungerechtigkeit durch die Geburt des politischen Sozialismus. Diese ist heute eine nicht mehr wegzudenkende Bewegung, durch die Industrialisierung geboren. Doch dieser gesellschaftliche, stark intellektuell beeinflusste Wegweiser (z.B. durch Das Kommunistische Manifest 1848) verliert zusehends an Faszination. Verblieben ist vor allem die Idee der Kooperative, da sie eher markt- und weniger politikbezogen ist. Somit mangelt eine neue moralisch und ethisch gangbare Theorie für ein sozial gerechtere Welt, die nicht auf Habgier und Geld basiert, obwohl auch hier das bisherige Imperium der Devisen und Banken erodiert. Die neue Welt der Elektronik hat hier bereits neue Fakten geschaffen.

Einmal angenommen, das Geld als eine Hauptursache der menschlichen Habgier könnte eliminiert werden und durch heute verfügbare elektronische Ersatzmöglichkeiten einen vollkommen neuen Zahlungsverkehr einführen. Dadurch würde wenig verändert. Denn die heutige Existenzgrundlage fusst auf dem Kreislauf von Produzieren, Handeln, Verkauf, Verbrauch, Rendite und Reinvestieren. Der Fiebermesser des Wohlstandes oder der Krise sind das Bruttosozialprodukt und der Grad der Inflation. Selbst die die Welt der Kunst ist vollkommen einbezogen in diesen Kreis. Die Krise im Corona Pandemie Jahr 2020 hat diese Wahrheit bewusster gemacht. Es muss noch etwas Wertvolleres geben als Geld allein.

Die Philosophie der heutigen Wohlstandsgesellschaft ist die materialistische Weltordnung nach amerikanischem Vorbild. Selbst die Schulung des Nachwuchses ist darauf ausgerichtet, die englische Sprache eine Grundlage. Die alte humanistische Bildung wird eher als Liebhaberwissen der sogenannt alten, bürgerlichen Familien apostrophiert. In den Jahren um 1980 bis 90 wurde an Universitäten eine totale Strukturveränderung der sogenannt „bürgerlichen“ Vorherrschaft propagiert und hat in Gemeinschaft mit dem „american way of live“ den alten europäischen Lebensstil total verändert. Das erschreckende Ergebnis ist ein rasant zunehmendes Auseinanderdriften von arm und reich, eine Förderung einer elektronischen Illusionswelt und die steigende Gefahr den lebenden Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Denn der grösste, unsichere Kostenfaktor in der Produktion ist der Mensch.

In den Vereinigten Staaten von Amerika zeigt sich seit der Trump-Ära eine seltsame Interessensverwandtschaft. Das erzkonservative Grosskapital und das gefährdete Proletariat haben eine analoge Lebensphilosophie, wenn es um das Weltbild des Kapitalismus geht. Eine Weltgemeinschaft tritt in den Hintergrund nach dem Slogan: America first. Bei den einen geht es um die nackte Existenz, bei den Anderen um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Im sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird Solidarität eher als Kampfverband unter Waffen denn als soziale Gemeinschaft verstanden. Dieser Umstand erklärt sich schon aus der Tradition der ersten Siedlerpioniere. Der für Aug und Ohr potentere Kandidat für ein royal anmutendes Präsidentenamt gewinnt die Sympathie der langsam durch den Roboter verdrängte Industrie und Fliessband-Arbeiterschaft. Der Mensch ernährt sich buchstäblich „handfest“ und in einer Krise zählen Bildung und Gesundheit weniger. Doch die tatsächlichen Gewinner auf dem Weltmarkt sind einmal mehr das Grosskapital und die Spekulation. Denn deren politischen Ziele sind nicht die Erhaltung eines existenziellen Einkommens und einer lebensnotwendigen Beschäftigung; es geht um die reine Erhaltung der bereits erreichten Vormachtstellung auf dem Markt mit Verbesserungspotenzial in der Zukunft. Soziale Ziele zum Schutze und Erhalt eines minimal notwendigen Minimums für alle Mitmenschen werden als Anfang einer kommunistischen Weltordnung verdächtigt. Mitschuldig am schwindenden Verständnis für die Probleme der Ärmsten ist eine Tendenz der Intellektualisierung der sozialen Politik durch eine wachsende Schicht von reinen Dienstleistern in dieser beinahe absolute Vorherrschaft der kapitalistischen Organisation des Gesamtmarktes, die praxisnahe, menschlich gerechte Lösungen erschweren.

Ein von den westlichen Industriestaaten eher verdrängtes Erbe ist die lange Epoche der Kolonialpolitik und Nutzung von Sklaven als Sparpotenzial. Diese wesentlichen Kostenersparnisse entfallen heute. Im Gegenteil; durch die neue „Völkerwanderung“ aus diesen damals verarmten Staaten sind zusätzliche Komplikationen auf dem Arbeitsmarkt programmiert. Auch zeigen sich bereits zum Teil gravierende Unterschiede kultureller und religiöser Art, die durch Attentate in westlichen Grossstädten unschuldige Opfer fordern. Die Zeit der absoluten Dominanz des weissen Mannes ist vorbei. Noch bleibt die Frage offen, ob auch sein Weltbild Gültigkeit hat.